Vorstellung des Abschlussberichts des 1. Untersuchungsausschusses "Terroranschlag Breitscheidplatz"

Ergebnisse werden breit diskutiert

Gestern hat der Untersuchungsausschuss seinen 1235 Seiten langen Abschlussbericht vorgestellt. Nach vierjähriger parlamentarischer Aufklärungsarbeit sprachen wir mit Pressevertretern und Betroffenen über unsere Ergebnisse. Als Vorsitzender freue ich mich über die große Resonanz, die unsere Arbeit erfährt. In nahezu allen regionalen und überregionalen Medien wurde heute hierüber berichtet.
Der Bericht arbeitet zahlreiche personelle und strukturelle Fehler heraus. Darüber hinaus enthält er eine Darstellung bislang gezogener Schlussfolgerungen. An vielen Stellen in den Sicherheitsbehörden sind bereits Verbesserungen erfolgt sind. Auch die Unterstützung für Opfer wurde mittlerweile besser organisiert.  

 

Der Ausschuss hatte mit der Aufgabe einer Aufarbeitung des Anschlags eine große Verantwortung. Einerseits gegenüber den Opfern und Hinterbliebenen, aber andererseits auch gegenüber der Öffentlichkeit insgesamt. Denn diese Tat des Anis Amri war auch ein Anschlag auf unsere Gesellschaft und unsere Art zu leben. Daher haben wir intensiv gearbeitet und uns viel Zeit genommen. Unsere Aufgabe war es, Fehler herauszuarbeiten und so die notwendigen Schlussfolgerungen zu ermöglichen. Immer mit dem Ziel, die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Anschlags abzusenken. Dabei wissen wir leider auch: Absolute Sicherheit wird es dennoch in einer freien Gesellschaft nicht geben.

Wir als Ausschuss sind kein Strafgericht, welches die Strafbarkeit Einzelner zu beurteilen hat. Aber wir haben versucht, persönliche Fehler, Mißstände und Schwachstellen in den Strukturen unserer Sicherheitsbehörden herauszuarbeiten, um Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Aufarbeitung hatte eine sehr hohe Priorität für uns alle. Dabei ist es mir als Vorsitzendem sehr wichtig gewesen, dass wir als parlamentarische Einheit über die Parteigrenzen hinweg das Ziel einer umfassenden Aufklärung verfolgen und an einem Strang ziehen. Auch wenn man natürlich nie in allen Punkten einig war, so gab es doch immer eine sehr gute, kollegiale und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Dafür danke ich allen Kollegen ganz herzlich. Ich denke,  das gemeinsame Vorgehen war unserem Auftrag angemessen.

Wir haben in 64 Sitzungen über 100 Zeugenvernehmungen durchgeführt. Einige der Zeugen vernahm der Ausschuss sogar mehrfach. Von über 16 Stellen bekamen wir circa 1500 Aktenordner, davon mehrere als vertraulich oder geheim eingestuft. Die Bewältigung der großen Aktenmenge stellte den Ausschuss und auch die Behörden vor ganz neue Herausforderungen. Zeitliche und personelle Grenzen, aber auch das Spannungsfeld zwischen Behörden und Ausschuss bei der Herausgabe und Sichtung von vertraulichen Unterlagen, veranlasste uns dazu, ganz neue Wege zu finden, um diese Konfliktlage zu lösen. Wir können guten Gewissens sagen, dass wir Abläufe und Verfahren entwickelt haben, die es uns ermöglichten, alles, was wir sehen wollten, am Ende auch erhalten zu haben. Die Zusammenarbeit mit den Berliner Behörden funktionierte in dieser Hinsicht gut. Es wurde nicht gemauert und es entstand auch nicht der Eindruck, die Behörden würden dem Ausschuss etwas vorenthalten wollen.

Wo nötig, haben wir Konflikte aber auch nicht gescheut. In einem Fall mussten wir sogar den Rechtsweg beschreiten. Die fast vollständig geschwärzten Akten des BMI waren für den Ausschuss unbrauchbar. Das Bundesverwaltungsgericht gab uns Recht und veranlasste das BMI unter bestimmten Voraussetzung zur Lieferung ungeschwärzter Akten. Das war ein wichtiges Signal für die Arbeit aller Untersuchungsausschüsse und wird auch auf Zukunft hin relevant sein.

Die zentrale Frage unserer Untersuchung war, wie es möglich sein konnte, dass ein behördenbekannter Islamist so einen Anschlag begehen konnte. Es wäre sicherlich leichter verständlich gewesen, wenn ein Gefährder unentdeckt bleibt und dann einen Anschlag begeht, aber Amri ist vollständig im Blick der Sicherheitsbehörden gewesen.

Uns war es wichtig, die Geschehnisse fair und aus der ex ante-Perspektive zu betrachten. Neben den erkannten Fehlern haben wir auch viel Gutes feststellen können. Wir haben hochmotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Sicherheitsbehörden kennengelernt und eine große Bereitschaft der Behörden festgestellt, mit- und aufzuarbeiten.

Was wir feststellen konnten ist, dass es keinen einzelnen Schuldigen gibt, keinen einzelnen Fehler, der für sich betrachtet zu dieser Tat führte. Es waren vielmehr zahlreiche individuelle Fehler, Fehleinschätzungen und strukturelle Defizite, die alle zusammen zu diesem Anschlag führten oder ihn zumindest begünstigten.

Die Auffassung, Amri „kühle sich ab“ und radikalisierte sich nicht weiter, führte dazu, dass Amri weniger priorisiert wurde. Wir mussten feststellen, dass überall zu wenig Personal vorhanden war und eine dauerhafte Überlastungssituation gegeben war. Besonders die Operativmaßnahmen konnten aufgrund von Personalmangel nicht vollumfänglich ausgeführt werden. So konnte sich Amri weiter unbeobachtet in seinem Netzwerk aus Islamisten und Gefährdern bewegen. Das war aber nicht das alleinige Problem. Berlin hatte generell ein sehr schlechtes Gefährdermanagement, obwohl die Terrorgefahr 2016 sehr hoch und Berlin aus Sicht der Terroristen ein attraktives Anschlagsziel war.
Wir stellten außerdem fest, dass es keinen optimalen Informationsaustausch zwischen den Behörden gegeben hat. Vor allem im GTAZ fanden viele Informationen ihren Weg nicht von der einen zur anderen Sicherheitsbehörde. Rechtliche Rahmenbedingungen zur Übernahme des Falls durch BKA oder BfV wurden nicht einmal geprüft.
Außerdem herrscht weiterhin in vielen Behörden die Einschätzung vor, das Trennungsgebot würde eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz verbieten. Dabei sieht das Trennungsgebot eine Zusammenarbeit sogar explizit vor.

Seit der Einsetzung des Untersuchungsausschusses sind viele Verbesserungen eingetreten. Es war richtig, einige Missstände direkt anzugehen. Die Polizei hat sich beispielsweise im Staatsschutzbereich besser aufgestellt, es gibt neue Abteilungen zur Terrorismusbekämpfung und mehr Personal. Auch der Informationsaustausch hat sich durch neu eingerichtete Gesprächsrunden verbessert. Die Bündelung von Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft soll die Erlangung von Haftbefehlen erleichtern. Durch ein neues Gefährder-Bewertungssystem wird nun auch die Gefährlichkeit der einzelnen Person mehr in den Blick genommen. Das sind einige der vielen Verbesserungen, die seit dem Anschlag und auch nicht zuletzt durch den Druck des Untersuchungsausschusses umgesetzt wurden. Es ist wichtig, dass unsere Empfehlungen aus dem Bericht ernst genommen werden und die nächste Legislaturperiode genutzt wird, um weiter wachsam zu bleiben und die nötigen Verbesserungen umzusetzen.

Mein Dank gilt auch an den Opfer- und Pressevertretern. Wir haben immer versucht, sie am langen Prozess der Aufklärung teilhaben zu lassen. Auch hier gab es - trotz der gelegentlich uneinheitlichen Interessen - ein faires Miteinander.

Abschließend möchte ich mich auch ganz besonders bei unserem Ausschussbüro bedanken, welches sehr engagiert und kompetent gearbeitet hat. Auch den Referenten der einzelnen Fraktionen danke ich für die gute Zusammenarbeit.

Den vollständigen Bericht können Sie hier einsehen. Die von der Tagesschau aufgezeichnete Pressekonferenz und mein Eingangsstatement können Sie hier sehen.